EM-Thriller in Riesenbeck
Spannender hätte die Entscheidung um die Mannschaftswertung der Longines FEI Jumping European Championship in Riesenbeck 2021 nicht ausfallen können! Deutschland oder die Schweiz? Die jeweils letzten Reiter beider Teams hatten es in der Hand, welche Nationalhymne erklingen würde.
Die Schweizer gingen als Führende in den zweiten Umlauf des Nationenpreises. Doch ihr Tag begann wenig vielversprechend mit zwölf Strafpunkten von Elian Baumann und Campari Z. Aber zwei fehlerfreie Runden von dem erst 24-jährigen Bryan Balsiger auf AK’s Courage und Martin Fuchs mit Leone Jei brachten die Schweiz wieder ins Spiel. Bei Deutschland war es genau umgekehrt. Sowohl André Thieme, der mit DSP Chakaria als erster für eine gute Ausgangsbasis sorgen musste, als auch Marcus Ehning auf seinem Hengst Stargold waren souverän fehlerfrei. Besonders bei Ehnings Stargold hatte man den Eindruck, er sei erst jetzt so richtig angekommen in Riesenbeck. Gäbe es einen Stilpreis, er wäre an dieses Paar gegangen. Für die Mannschaft war jetzt alles möglich.
Dann kam Christian Kukuk, der Lokalmatador, der hier in Riesenbeck zuhause ist, und dem auf der Tribüne die Familie die Daumen gedrückt hat. Sein Mumbai sprang fantastisch bis zur dreifachen Kombination. Am Aussprung fiel die Stange. „Der Fehler ging total auf meine Kappe“, räumte Kukuk hinterher selbstkritisch ein und erklärte: „Ich war am Einsprung zu dicht, dadurch fehlte der Schwung und ich habe es ihm einfach zu schwer gemacht.“
Damit war aber noch nichts entschieden. Der ganze Druck lastete nun auf David Will mit dem Holsteiner C-Vier für Deutschland und Steve Guerdat im Sattel des schwedischen Wallachs Albführen’s Maddox für die Schweiz. Will, der Championatsdebütant, Steve Guerdat, der Olympiasieger von 2012, der dreifache Weltcup-Sieger, der WM-Dritte. Will musste als erster ran. C-Vier demonstrierte mit jedem einzelnen Sprung, dass er nicht zufällig vor wenigen Monaten den Traditions-Grand Prix von Rom gewonnen hatte. Aber vor der zweifachen Kombination passte es nicht ideal und die Stange am Einsprung fiel. Nun musste Steve Guerdat die Entscheidung bringen. Einen Abwurf konnte er sich leisten, ohne den Sieg der Schweizer zu gefährden. Zwei Stangen und der Titel wäre nach Deutschland gegangen.Bis Hindernis 9 sahen Guerdat und Albführen’s Maddox nicht so aus, als wollten sie auch nur einen einzigen Fehler machen. Aber die goldenen Pferde, der massive Oxer Nummer 9, brachten das Gold noch einmal in Gefahr. Ein Abwurf.
Zittern in beiden Lagern – noch ein Fehler und der Sieg wäre futsch bei den Schweizern. Noch ein Fehler und der Sieg wäre auf deutscher Seite gewesen. Aber den Gefallen tat Guerdat ihnen nicht. Er ritt die Runde ohne weitere Strafpunkte zu Ende und wurde von seinen Teamkollegen am Ausritt frenetisch gefeiert. Und die Stimmung im deutschen Lager? Equipechef und Bundestrainer Otto Becker fasste es so zusammen: „Im erstem Moment enttäuscht, weil es super anfing mit den zwei Nullrunden. Da haben wir natürlich gehofft, aber unterm Strich ganz klar: Ziel erreicht, Silber gewonnen. Kompliment an das Team, wie sie das gemacht haben. Wir sind super happy!“
Für Deutschland ist es die zweite Silbermedaille in Folge nach der EM in Rotterdam 2019. Damals landeten sie hinter Belgien. Diesmal war es umgekehrt. Wie schon bei den Olympischen Spielen in Tokio gelang es den Belgiern noch auf den letzten Drücker, auf den Bronzeplatz zu reiten.
Alle vier Teamreiter kamen ohne Abwurf ins Ziel, Pieter Devos mit Jade vd Bisschop, Jos Verlooy auf Varoune sowie die Zwillinge Olivier und Nicola Philippaerts mit Le Blue Diamond v’t Ruytershof und Katanga v/h Dingeshof. Geschlossene Mannschaftsleistung, kann man sagen. Ihre super Auftritte am heutigen Tag brachten die Belgier auch in der Einzelwertung ins Spiel. Kann Martin Fuchs seinen Titel verteidigen? Was die Einzelwertung angeht, hat der heutige Tag einiges durcheinandergewirbelt.
Außer an der Spitze. Da liegt nach wie vor der Titelverteidiger, der Schweizer Martin Fuchs auf seinem erst neunjährigen Leone Jei mit gerade mal 1,31 Strafpunkten. Dank seiner zwei fehlerfreien Nationenpreisumläufe konnte sich André Thieme mit DSP Chakaria auf den Silberplatz schieben (2,84). Auf Bronzekurs sind Belgiens Pieter Devos und Jade vd Bisschop (3,16). Die Überraschung dieser EM ist die griechische Einzelreiterin Ioli Mytilineou. Die 24-Jährige und ihr fantastisch springender Levis de Muze haben sich bei dieser EM noch keinen einzigen Fehler geleistet.
Mytilineou trennt also nicht mal ein Abwurf von der Goldmedaille und sie hat sich mit ihren großartigen Ritten direkt vor dem Mannschaftsolympiasieger und Einzel-Zweiten von Tokio, Peder Fredricson (SWE), positioniert.
Die Entscheidung in der Einzelwertung fällt am Sonntag ab 14 Uhr. Wer nicht in Riesenbeck vor Ort sein kann, verfolgt das Geschehen im TV.
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